Seit dem letzten Herbst hatte sich so viel verändert. Nachdenklich…

… schaute sie auf ihre Schuhspitzen. Die hatten auch schon bessere Tage gesehen. Genau wie sie selbst. Es war garnicht so lange her, da schien ihre Welt noch völlig in Ordnung. Und sie erinnerte sich, als wäre es heute, wie unzufrieden sie auch zu besten Zeiten oft gewesen war. Immer gab es was zu meckern. War es nicht über den Mann, die Kinder, die Nachbarn oder die Schwiegereltern, dann war die Politik in Deutschland der Stein des Anstoßes. Manchmal auch nur das scheinbar permanent miese Wetter.

Nun saß Vera an diesem wunderbaren Herbstag auf einer Bank im Stadtpark und hatte so garkeinen Blick für die Schönheit der Natur. Das Laub war rot oder golden, die Luft frisch und die Oberfläche des kleinen Sees glitzerte in der Sonne. Aber sie war in Gedanken versunken, dachte lieber an vergangene Tage, als an kommende. Zu groß war die Angst vor der ungewissen Zukunft und davor, was der bevorstehende Winter bringen würde.

Bis zum Frühsommer des letzten Jahres hatte sie mit ihrer Familie in dem kleinen Haus mit gepflegten Garten am Stadtrand von Berlin gelebt. Ihr Mann Eric war beruflich viel unterwegs gewesen. Aber er brachte auch gutes Geld nach Hause. Geld was der Familie ein recht sorgenfreies Leben ermöglichte. Jeden Sommer flogen sie mit den beiden Kindern in den Schulferien nach Italien, Spanien oder Griechenland. Ohne den jährlichen Cluburlaub wäre ihr Sommer irgendwie kein Sommer gewesen.

Vor zwei Jahren dann, nach der Rückkehr von Lanzarote, sprach Vera zum ersten Mal von ihrem Wunsch, mit der Familie in den sonnigen Süden auszuwandern. Eric war skeptisch, zählte ihr eine Reihe von Nachteilen und Risiken auf, und tat das Projekt Auswanderung irgendwann nach fruchtlosen Diskussionen als Veras fixe Idee ab.

Der Alltag zog wieder ein und alles ging seinen gewohnten Gang. Doch Vera konnte ihren Traum nicht vergessen und kam gegen ihre Sehnsucht nach Meer und Sonne nicht an. Als ihre Bemühungen um einen Wiedereinstieg in den Beruf  so kläglich scheiterten, sank ihre Hoffnung auf ein zufriedenes Leben in Berlin völlig auf Null. Sie sah die Zukunft ihrer Familie in Spanien und wäre auch bereit, dafür Opfer zu bringen. Sie gab keine Ruhe mehr.

Als Erics Job dann im Mai völlig überraschend dem Stellenabbau in seiner Firma zum Opfer fiel, er Bewerbung über Bewerbung rausschickte und es nur Absagen hagelte, war auch er mürbe geworden und klammerte sich nun genau wie Vera an die Idee, dass ihr Glück im Ausland liegen könnte. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ wurde zu ihrem gemeinsamen Wahlspruch. Und auf einmal ging alles sehr schnell. Sie suchten und fanden bald in kürzester Zeit einen Käufer für ihr Häuschen. Als der Sommer zuende ging und das neue Schujahr für die Kinder näher kam, reisten sie ab in ihr neues Leben.

Die Familie fand schnell eine schöne große Wohnung in einem Ort am Meer. Die Kinder wurden eingeschult, fanden schnell Freunde und lernten auch die Sprache mehr oder weniger spielend. Sie hatten den Vorteil, dass sie fast den ganzen Tag mit spanischen Kindern zusammen waren. Morgens in der Schule, am Nachmittag beim Spielen. Eric und Vera taten sich da schwerer. Bei allem Optimismus gestaltete sich ihr Leben in Spanien trotz erstklassigem Wetter nicht so, wie sich gehofft hatten.Bei aller Begeisterung für das Land und seine Leute hatten sie nie daran gedacht, die Sprache zu lernen. Im Urlaub waren sie ja auch immer sehr gut ohne Spanischkenntnisse klar gekommen. Aber nun hieß es auf Jobsuche gehen. Und ohne die geringsten Grundkenntnisse wollte sie kein Arbeitgeber unter Vertrag nehmen.

 

An der Stelle schaltete Herbert den Fernsehers aus.
Er wusste schließlich wie diese
Geschichte ausgehen würde.

Neustart im Ausland
keine Sprachkenntnisse
keinen Job
schnell alle Ersparnisse weg
reumütige Rückkehr nach Deutschland
 Sozialfall

Viel zu oft wurde sowas in letzter Zeit gezeigt.
Die Fernsehmacher hofften offensichtlich,
die Leute damit vom Auswandern abzuhalten. 
Ob sie wohl ihr Ziel erreichen würden?
Herbert ging gelangweilt ins Bett.

 

 

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19 Antworten zu Seit dem letzten Herbst hatte sich so viel verändert. Nachdenklich…

  1. waldviertelleben schreibt:

    sehr gut gefällt mir deine geschichte. spannend geschrieben.
    hab mir kaffee und kekse zum lesen geholt.
    lg
    ingrid

  2. Follygirl schreibt:

    Gefällt mir, eine Geschichte aus dem Leben…
    Wenn man hört, wieviel Menschen heute gerne auswandern würden… ein gutes thema.
    LG, Petra

  3. april schreibt:

    Hm, du schreibst doch noch eine Fortsetzung, oder? Jetzt bin ich so neugierig, ob Herbert selber vorhat, auszuwandern und was er schon für Pläne hat …

  4. Renate schreibt:

    Ich kenne auch eine Auswanderin, die über Jahre auf Teneriffa lebt … nun kehrt sie wieder zurück. Die Wurzeln liegen einfach in der Heimat.

    Lieber Gruß von Renate , die hin und wieder auch mit dem Auswandern liebäugelt. Gedanken sind frei … das ist das Schöne daran. 😉

  5. chinomso schreibt:

    Ja April, wenn ich mal ganz viel Zeit habe. 🙂

    Vielleicht passiert das erst, wenn ich in Rente bin.
    Eigentlich war mir auch ein bisschen nach Mord und Totschlag zumute. Aber das hätte dann den Rahmen gesprengt. Habe sogar mit einer Kollegin gestern nach einem blutrünstigen Ende gesucht. Aber das wäre dann alles zu lang geworden und ich wäre nicht bis heute 12 Uhr fertig geworden. Donna ist also schuld. (sorry Donna, einer muss der Schuldige sein 🙂 )

  6. Iris schreibt:

    Ein cleverer Einfall, um eine scheinbar lange Geschichte (die nebenbei bemerkt sehr nah am aktuellen Zeitgeschehen ist) auf eine kurzweilige Blogposting- Länge zu bringen ;o).
    Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende,
    Iris

  7. Quer schreibt:

    Mir gefällt die Geschichte deshalb so gut, weil sie ein so überraschendes Ende hat. Illusion und Desillusion sind da genz nahe beisammen!

    Dank und liebe Grüsse,
    Brigitte

  8. chinomso schreibt:

    Vielen Dank für eure Meinungen und das Lob.

    Das Ende stand bis heute 10:30 Uhr nicht fest.
    Ich wollte schon Donna anfunken und schreiben….sorry, ich kriegs nicht gebacken.
    Aber da ich das letzten Monat schon gemacht habe, ging das mal garnicht. Und dann saß mein Hirn im Schnellkochtopf. 🙂

  9. Donna schreibt:

    Herbert ist gelangweilt – ich aber überhaupt nicht! Gute Geschichte mit einem unerwarteten Ende, das in vielerlei Hinsicht nachdenklich stimmt.
    Danke, dass du wieder mitgeschrieben hast in unserem Club der lebendigen DichterInnen.

    Es ist interessant, all die Kommentare zu lesen…Da erfahre ich ja eine ganze Menge über euch – schön!
    Waldviertelleben knabbert gern Kekse und trinkt Kaffee beim Lesen, Renate liebäugelt ab und an mit dem Auswandern, Chinomso bezieht Kollegen mit ein ins Schreibprojekt und hätte lieber ein blutiges Ende für ihre Geschichte gehabt…

    Liebe Grüße in ein hoffentlich katastrophenfreies Wochende!
    Donna (die die Schuld auf sich nimmt)

  10. chinomso schreibt:

    …und ich habe auch schon ans Auswandern gedacht. Aber zum Ernstfall wird es nicht kommen. Denn die Länder, die mich reizen könnten, sind im Alltag sehr anstrengend und das Leben ist gekennzeichnet von Improvisation und Risiken, die man nicht umgehen kann. (ich denke da z.B. an Nigeria)

  11. marie418 schreibt:

    Hab ich hier immer wieder erlebt, das ist keine wirkliche Geschichte, sondern blanke Realität. Leider 😦

    Und es scheitert nicht nur an mangelndem Geld ganz oft, oder Sprachkenntnissen , sondern auch an mangelndem Verständnis für die Gebräuche und das Land überhaupt.

    Jedenfalls gefällt mir deine Schreibe und deine Geschichte auch.

  12. Lilie schreibt:

    Tolle Geschichte, die nachdenklich stimmt, klasse geschrieben. Liebe Chinomso, ein immer wieder aktuelles Thema hast du hier aufgegriffen. Ich kenne auch viele Leute, die vom Auswandern träumen. Jedoch kommen in ihren Träumen immer nur die angenehmen Dinge vor: immer schönes Wetter, das Meer direkt vor der Tür, Urlaubsstimmung das ganze Jahr über. Aber zum Auswandern gehört einiges mehr.
    Liebe Grüße
    Lilie

  13. Elke schreibt:

    Tolle Geschichte..gefällt mir sehr.

    Nebenbei ich gehöre ja zu den Auswanderern
    nur war meine nicht freiwillig und völlig andere
    Vorraussetzungen.

    Noch eins möchte ich zur Realität sagen.
    Träume ohne auch nur einen Schimmer zu haben
    was es bedeutet..auszuwandern und sich in einem
    neuen Land eine neue Existenz aufzubauen..
    ist schwer..und vor allen hat es nicht im geringsten
    mit Urlaubs Erfahrungen zu tun.

    Die Sprache nicht lernen wollen..
    da kann man das ganz vergessen..
    Das ist einfach „Einfalt“..

    @Renate
    „Die Wurzeln liegen in der Heimat“
    das stimmt im Prinzip immer..aber es muss nicht bedeuten das man sich nicht in einem anderen Land gut zurecht finden kann.

  14. Elke schreibt:

    Deine Geschichte hat ein wirklich überraschendes Ende, das gefällt mir gut. Zunächst dachte ich: ach das klingt ein bisschen sehr nach diesen Auswanderersendungen, die derzeit im Fernsehn laufen. Hin und wieder guck ich da auch mal rein und denke oft, wie kann man nur so naiv sein.

    Vielleicht würde ich den letzten Satz weglassen, dann blieb für den Leser das Ende offen. Also es bliebe die Frage, ob Herbert selbst dieses Erfahrungen gemacht hat oder nur die Fernsehsendungen kennt.

    Tolle Geschichte!
    Lieben Gruß
    Elke

  15. Ruthie schreibt:

    Klasse! Du hast es echt drauf. Super Schluss!

  16. chinomso schreibt:

    Und beinahe hätte ich heute Morgen die ganze Story in die Tonne gekloppt…..

  17. Brigitte schreibt:

    hab grad deine Geschichte gelesen, gut geschrieben, gefällt mir wirklich.

    klar auswandern ist immer erst ein Traum … und manche leben ihn sogar eines Tages, muss auch nicht immer tragisch enden 😉

    wünsch dir einen schönen Abend noch
    Liebe Grüsse von der Insel
    Brigitte

  18. ankeberlin schreibt:

    Ich denke, Du hast eine vielgeträumte Geschichte wunderbar in Fassung gebracht. Schließe mich der Meinung von @Brigitte an, daß es nicht immer tragisch enden muss und auch der von @Marie, was Sprache und Empathie betrifft.

    Ob Berlin der richtige Ausgangspunkt ist? Ich lebe noch nicht solange aktiv alltäglich hier, um das vehement beurteilen zu können … dennoch wage ich die Anmerkung, daß dieser Traum in Westdeutschland wesentlich häufiger geträumt wird …

    Priviligiertes Leben vergangener Zeiten in West- wie auch Ost-Berlin initiierte andere Vorraussetzungen. Lebensentwürfe waren in den letzten 20ig Jahren heftigen Stürmen ausgesetzt. Mobilität hat viele Vorteile, bringt sie einem die Möglichkeiten andere Kulturkreise zu erschließen. Hält sie jedoch zwangsweise zu lange an, entwurzelt sie in Fläche und Tiefe und bringt Konzepte politischer Kultur durcheinander, die in unterschiedlicher Ausprägung anders gedacht wurden, als ursprünglich initiiert …

    Stabilität braucht immer verlässliche PartnerInnen, wenn diese das Weite suchen, hat das Folgen für Verlässlichkeit, auf der sich viele ausruhen. Wenn Verständnis und Hinterfragen zu Fremdwörtern der Muttersprache oder gelebter Mentalität werden, dann ist etwas wirklich schief gelaufen … und schief gelaufen ist jede Menge.

    Ich ‚unterschreibe‘ Dein Drehbuch kreuz und quer durch Westdeutschland – Ostdeutschland kann ich nicht beurteilen, aber Berlin? Berlin hat und hatte schon immer eine andere Vorwahl – egal aus welcher Richtung, das kann ich zufällig per Vergangenheit doch ganz gut beurteilen. 😉

  19. Wolfgang Kais schreibt:

    Eine wirklich spannende Geschichte, und das überraschende Ende macht echt neugierig… ob Herbert sein Gelangweiltsein wohl bald satt hat und selbst seine Sachen packt?
    Mein Vater heißt auch Herbert, und er hat den Ausstieg weitestgehend geschafft, allerdings innerhalb Deutschlands. Ein ehemaliger Kollege von mir ist nach Finnland ausgewandert, und irgendwie beneide ich ihn. Ich habe Deine tolle Geschichte gern gelesen, und ich würde mich freuen, mehr von Deinem Herbert zu erfahren.
    Viele Grüße – Wolfgang

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